Verurteilt wegen „Verführung zur Unzucht“

Verurteilt wegen „Verführung zur Unzucht“

„Ornament und Verbrechen“, so lautet der Titel einer Schrift, die Adolf Loos im Jahr 1908 veröffentlichte. Wenngleich es sich dabei um die bekannteste und einflussreichste Publikation Loos‘ handelt, war der Text nicht der einzige Anlass, bei dem der am 23. August 1933 verstorbene österreichische Architekt und Publizist seiner Vorstellung von funktionaler Architektur und seiner konzeptionellen Ablehnung des Ornaments in eindeutiger bis polemischer Manier Ausdruck verlieh. Am 10. Dezember 1870 in Brünn geboren, hatte der Sohn eines Bildhauers und Steinmetzes nach dem Besuch der Gewerbeschule und einem freiwilligen Jahr beim Militär im Jahr 1892 ein Studium der Architektur in Dresden begonnen. Im Jahr darauf war Loos allerdings bereits in die USA gereist. Dort hatte er mit verschiedenen Gelegenheitsarbeiten Geld verdient, in New York schließlich auch als Zeichner. Die Einberufung zu neuerlichem Militärdienst hatte ihn dann nach dreijährigem Aufenthalt zurück nach Europa gebracht. Loos war dort geblieben und hatte im Architekturbüro Karl Mayreders in Wien gearbeitet.

1898 war eine neue Aktivität hinzu gekommen, der Loos seitdem kontinuierlich nachgegangen war: in der Wiener Neuen Freien Presse, der Zeitschrift „Ver Sacrum“ und ab 1903 in seiner eigenen Zeitschrift „Das Andere – Ein Blatt zur Einführung abendländischer Kultur in Österreich“ hatte Loos Artikel veröffentlicht, in denen er sich zum Verhältnis von Kultur, Architektur und Kunst äußerte. Loos hatte dabei den Unterschied von Kunst und Alltag, von zweckfreier Kunst und zum Gebrauch bestimmter Architektur, betont. Gewandt hatte er sich gegen das zeitgenössische Denken von Künstlern der „Wiener Secession“ und „Wiener Werkstätte“, die eine Vereinigung der Sphären anstrebten, deren Trennung ihm notwendig erschien.
Auch „Ornament und Verbrechen“ war diesem Ansatz gewidmet. Eine kunstsinnige Gestaltung der alltäglichen Welt und ihrer zum Gebrauch bestimmten Objekte stellte für Loos ein überkommenes Phänomen dar. Der dafür erbrachte Aufwand war zeit-und materialökonomisch nicht zu rechtfertigen. Für Loos bedeutete zudem eher das Baumaterial selbst das Schlüsselelement der Architektur, von dessen Bedeutung und auch ästhetischer Qualität überflüssige ausladende Verzierung lediglich ablenkte. Anders als diesbezüglich ungebundene Kunstwerke, sollte sich Architektur zukünftig an alltagsrealen Bedingungen und Bedürfnissen der Gegenwart ausrichten, denn an immer neuen stilistischen Konzepten.

Das Loos-Haus in Wien auf Briefmarke zum 125. Geburtstag von Adolf Loos.

Das Loos-Haus in Wien auf Briefmarke zum 125. Geburtstag von Adolf Loos.

Loos‘ architektur-theoretisches Denken fand Umsetzung in seiner eigenen Arbeit an über 100 Häusern, Wohnungen und Geschäften. Die äußere Gestaltung seiner Bauten war schlicht, wenn nicht karg, nur in Innenräumen, in Bezug auf unterschiedliche funktionale Kontexte und Nutzungsansprüche, reichhaltiger. Berühmte Beispiele der Loosschen Architektur sind das für Goldmann & Salatsch errichtete Wohn-und Geschäftshaus und die Innenraumgestaltung des Café Museum in Wien. In der Wiener Umgebung seiner Gegenwart wurden Loos‘ kritische und pointiert formulierte Überlegungen und radikal andersartige Arbeiten kontrovers aufgenommen. Zur Kenntnis genommen und angeregt rezipiert wurden sie allerdings, und sie verschafften ihrem Urheber vor allem in späteren Jahrzehnten einen internationalen Status als Wegbereiter der funktional-nüchternen Architektur der „Moderne“.
Neben die Anerkennung, die Adolf Loos für seine architekturtheoretische und praktische Arbeit im Lauf der Zeit zuteil wurde, trat 1928 eine Anklage wegen sexuellen Missbrauchs von drei Mädchen. Von dieser wurde Loos freigesprochen, jedoch wegen Verführung zur Unzucht verurteilt. Er hatte die Kinder, die nicht einmal älter als zehn Jahre waren, zu Aktzeichnungen verführt. Um der Verurteilung unmissverständlich zu entsprechen, wurde Loos‘ Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof im Jahr 2012 vom Status eines „Ehrengrabes“ in den eines „Historischen Grabes“ überführt.

Authored by: Marius Prill

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