Ben Wisch: Mit Leidenschaft und Augenmaß

Ben Wisch: Mit Leidenschaft und Augenmaß

So einen könnte man jetzt vielleicht gebrauchen. In Zeiten von IS, Ukraine, von Krisenherden und Kriegen. Hans-Jürgen Wischnewski (1922 – 2005) war der Mann für schwierige Verhandlungen, für komplizierte Machtverhältnisse, für brenzlige Situationen. Seine Kenntnisse von arabischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Besonderheiten prädestinierten den Kölner Sozialdemokraten für Einsätze in fernen Ländern. Ein Mann für alle Krisenfälle. Seine Kontakte und diplomatischen Fähigkeiten brachten ihm den Ehrentitel „Ben Wisch“ ein, den Willy Brandt prägte. Einer wie Ben Wisch warnte schon kurz nach dem 11. September 2001, vor dem „gefährlichen Irrtum“, islamistische Extremisten und die „friedfertige islamische Religion“ miteinander zu verwechseln, wie Helmut Schmidt in seinem Nachruf den Parteikollegen und Freund zitiert. Und vielleicht könnte Wischnewski sogar im verfahrenen Bahnstreit vermitteln, immerhin hatte er es 1978 geschafft, die verhärteten Fronten im Tarifstreit des Druckgewerbes aufzulösen.

33 Jahre, von 1957 bis 1990, war Wischnewski Mitglied des Deutschen Bundestages. Als Sonderbeauftragter und in Sondermissionen nutzte er sein Wissen und seine Kanäle, um Menschen aus bedrohlichen Situationen zu befreien. So prägte sich vielen das Bild des großbebrillten Mannes als Retter der Geiseln der Lufthansa-Maschine „Landshut“ ein. Die Fluggäste, die 1977 in dem entführten Flugzeug von Ort zu Ort geflogen und schließlich durch einen Einsatz der GSG-9-Truppe in Mogadischu befreit wurden, überlebten vor allem durch seine Interventionen und sein gewieftes Vorgehen. „The work is done“, berichtete der Krisenmanager lapidar am Telefon Bundeskanzler Helmut Schmidt, als die Geiseln befreit waren. Und das gab bei weitem nicht wieder, wie trickreich und geschickt er in dieser kritischen Situation im Deutschen Herbst agiert hatte.

Die Landshut-Befreiung war nur einer der Erfolge des SPD-Politikers. Wischnewski setzte sich für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und den Frieden im Nahen Osten ein. Freundschaftlich war er dem Palästinenserführer Jassir Arafat verbunden, der ihn mit dem höchsten palästinensischen Orden auszeichnete. Sie hatten sich bei einem Einsatz 1970 kennengelernt, als PLO-Terroristen drei Flugzeuge in ihre Gewalt gebracht hatten. In El Salvador vermittelte er, in Nicaragua bekam Wischnewski, auch „Commandante Hans“ genannt, acht von Contras entführte Deutsche frei. Die nicaraguanische Regierung bat ihn später um Teilnahme an den Waffenstillstandsverhandlungen mit den Contras.

In Bagdad, Teheran und Beirut kämpfte der „Feuerwehrmann der Nation“ um die Freilassung von Geiseln. Schon Mitte der 1950er-Jahre, damals noch als Juso-Chef, hatte er Kontakte in die weite Welt. Algerische Freiheitskämpfer vertrauten ihm ihr Geld an. Selbst der libysche Diktator Muammar Al Gaddafi bezeichnete ihn als Freund. Auch „Entwicklungshilfe für Schottland“ leistete Wischnewski gern, wie über ihn scherzhaft berichtet wurde, wenn er mal wieder in seiner Kölner Stammkneipe „Keule“ den dortigen Whisky testete.

Wischnewski war Bundesgeschäftsführer der Partei, unter Helmut Schmidt Staatssekretär im Außenministerium und später Kanzleramtsminister. Doch den gewünschten Posten als Außenminister bekam er aus Koalitionsgründen nicht. 1983 stimmt Wischnewski gemeinsam mit Helmut Schmidt und weiteren Genossen für den NATO-Doppelbeschluss und die Stationierung von US-Atomraketen in Deutschland. Der Parteivorstand ist dagegen. Auch nachdem er 1985 nach Streit mit dem damaligen Fraktionschef Hans-Jochen Vogel seine Ämter niedergelegt und sich 1990 ganz aus dem Bundestag zurückgezogen hatte, blieb Wischnewski umtriebig und beriet Unternehmen im arabischen Raum. Und dort könnte einer wie er vielleicht auch heute vermittelnd wirken.

Hans-Jürgen Wischnewski wurde in Allenstein in Ostpreußen geboren. Nach dem Abitur 1941 in Berlin wurde er Panzergrenadier. Nach Krieg und Gefangenschaft arbeitete er in der Metallindustrie und als Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall.

In seinem Buch „150 Jahre Deutschland auf Briefmarken. Mein Land, meine Geschichte“ hat er 1989 seine Sicht auf die Deutsche Geschichte in einem Bild-Briefmarkenband zusammengefasst. Und auch er selbst ist auf Marken verewigt, als „Freund von Palästina“ in großer Nähe zu Arafat.

Wenn der Vater von drei Kindern mal nicht unterwegs war und Muße hatte, widmete sich er sich mit Leidenschaft der Philatelie. „Konrad Adenauer“, obwohl in der anderen Partei, war eines der Motive seiner Sammlung. Auch da zeigte sich offenbar, dass Wischnewski über Partei- und Ideologiegrenzen hinaus den Menschen sehen konnte. Er wollte wohl sein Leben in dem Sinne gestalten, wie er es als Titel seiner politischen Memoiren gewählt hatte: „Mit Leidenschaft und Augenmaß“.


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Authored by: Verena Leidig

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