Ein Automat, der Musik macht

Die Wurlitzer Musikbox auf amerikanischer Freimarke von 1995Eines der vielen Dinge, die heutige Generationen vermutlich gar nicht mehr kennenlernen werden, ist die Musikbox. Was konnte man nicht alles für Spaß damit haben (sofern man genug Kleingeld hatte): Rein in den Imbiss, zehnmal Tony Marshall gedrückt, schnell wieder raus und die Imbissgäste musikalischer Folter ausgesetzt, lange bevor das Wort „Guantanamo“ ins Bewusstsein der Menschen rückte. Wobei man auch mit dem an und für sich harmlosen Lied „Guantanamera“ schon damals seinen Mitmenschen gehörig auf die Nerven fallen konnte. Vorbei sind die Zeiten, als Gaststätten, Eisdielen und Imbisslokale mit Musikboxen bestückt waren. Und das Konzept, dass man für das Anhören eines Liedes Geld bezahlen musste, und zwar vor dem Hören, lässt sich unseren Kindern, die mit der Gratiskultur des Internets aufwachsen, wohl gar nicht mehr vermitteln. Nach Deutschland gekommen waren die Musik-Maschinen aus den USA, gebaut von einem Unternehmen, dessen Gründer einst aus dem sächsischen Vogtland in die Vereinigten Staaten eingewandert war: Franz Rudolph Wurlitzer.

Wurlitzer, geboren am 1. Februar 1831 in Schöneck, kam im Juni 1853, mit 22 Jahren, nach Amerika. Ohne Geld und ohne Sprachkenntnisse wurde er zunächst Verkäufer in einem Lebensmittelgeschäft und schlug sich dann bis nach Cincinatti durch, wo er eine Anstellung bei einer Investmentbank fand. Hier weckte der örtliche Musikalienhandel sein Interesse: Die Musikinstrumente waren zumeist schlecht, oder, wenn aus Deutschland importiert, sehr teuer. Wurlitzer schickte sein Erspartes an seine Familie in Deutschland mit der Bitte, ihm dafür Musikinstrumente zu senden. Mit dem Gewinn aus dem Verkauf gründete er 1856 sein erstes Unternehmen: Die Rudolph Wurlitzer Company. Die Firma importierte Musikinstrumente, wuchs schnell und eröffnete bald Verkaufsgeschäfte in allen großen amerikanischen Städten. Ein weiterer Schub war ein Großauftrag der US-Army für Trommeln, die Wurlitzer zum Teil selbst herstellen ließ. Ab 1861 verlegte man sich dann komplett auf die Produktion von Musikinstrumenten. Erste Klaviere wurden ab 1880 hergestellt und im Jahr 1899 entwickelte Wurlitzer ein Münzklavier, das Töne von einer Walze abspielte. 1910 erwarb Wurlitzer dann noch einen Orgelhersteller, mit dem Verkauf von Kino- und Theaterorgeln machte die Firma danach Rekordumsätze.

Die Wurlitzer Musikbox auf amerikanischer Briefmarke von 1999Rudolph Wurlitzer starb heute vor 100 Jahren, sein Sohn Farny Wurlitzer kaufte 1933 einen Patent für einen Musikbox-Mechanismus, und stellte dessen Erfinder und einen Designer ein. Kurz danach wurde die erste Musikbox mit dem Namen „Debutante“ ein Riesenerfolg. Die Geräte, die nach Münzeinwurf Schellackplatten abspielten, standen bald in jedem Restaurant und jeder Bar, der Name „Wurlitzer“ war in aller Munde. Ein weiterer Erolgsschlager wurde 1946 die Wurlitzer „1015“, mit ihrem außergewönlichen Design für viele Fans die schönste Musikbox aller Zeiten. 1974 wurde die amerikanische Produktion der Wurlitzer-Musikboxen eingestellt, bis dahin wurden 750 000 Musikboxen hergestellt. Die amerikanische Wurlitzer Company wurde 1985 verkauft, der 1960 gegründete deutsche Ableger der Firma Wurlitzer existiert noch heute und produziert weiterhin Musikboxen. 1995 und 1999 kam die Wurlitzer-Musikbox in den Vereinigten Staaten zu Briefmarkenehren.

Authored by: Udo Angerstein

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert